Tarifvertragliche Sonderzahlung kann vom Bestand des Arbeitsverhältnis bis zum 31.3. des Folgejahres abhängig gemacht werden

In Tarifverträgen kann der Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag außerhalb des Bezugszeitraums im Folgejahr (hier: 31.3.) abhängig gemacht werden. Die tarifvertragliche Regelung greift in einem solchen Fall zwar in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein; der Eingriff ist aber noch verhältnismäßig.

BAG 27.6.2018, 10 AZR 290/17

Der Beklagte arbeitete seit 1995 als Busfahrer in dem Verkehrsunternehmen der Klägerin. Aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag Anwendung, der einen Anspruch auf eine bis zum 1. Dezember zu zahlende Sonderzuwendung vorsieht. Diese dient auch der Vergütung für geleistete Arbeit. Der Arbeitnehmer muss die Sonderzuwendung zurückzahlen, wenn er in der Zeit bis zum 31. März des folgenden Jahres aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheidet.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis im Oktober 2015 zum Januar 2016. Mit der Abrechnung für den Monat November 2015 zahlte die Klägerin an ihn die tarifliche Sonderzuwendung in Höhe eines Monatsentgelts. Nachdem das Arbeitsverhältnis geendet hatte, verlangte die Klägerin die Sonderzuwendung nach der tarifvertraglichen Regelung zurück. Der Beklagte lehnte das ab. Er ist der Ansicht, dass die Tarifvorschrift unwirksam sei. Sie verstoße als unverhältnismäßige Kündigungsbeschränkung gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.
ArbG und LAG gaben der Klage statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg.

Die Rückzahlungsregelung wäre laut BAG-Rechtsprechung zwar unwirksam, wenn sie als arbeitsvertragliche AGB einer Klauselkontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen wäre (siehe BAG 18.1.2012, 10 AZR 612/10). Arbeitsvertraglich in ihrer Gesamtheit einbezogene Tarifverträge unterliegen jedoch keiner solchen Inhaltskontrolle, weil sie nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB). Tarifverträge stehen nach § 310 Abs. 4 S. 3 BGB Rechtsvorschriften i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB gleich.
Die Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten, die sich aus der tarifvertraglichen Stichtagsregelung ergibt, verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Sie verletzt insbesondere nicht Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, die die Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung zu beachten haben. Den Tarifvertragsparteien steht insoweit aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu, über den Arbeitsvertrags- und Betriebsparteien nicht in gleichem Maß verfügen. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind.
Darüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn es für die getroffene Regelung einen sachlich vertretbaren Grund gibt.
Die tarifvertragliche Regelung, die hier anzuwenden ist, greift zwar in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein. Art. 12 Abs. 1 GG schützt auch die Entscheidung eines Arbeitnehmers, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf beizubehalten oder aufzugeben. Die Einschränkung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ist hier aber noch verhältnismäßig. Die Grenzen des gegenüber einseitig gestellten Regelungen in AGB erweiterten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien sind nicht überschritten.