ArbG Hamburg v. 24.11.2021 - 27 Ca 208/21
Die Beklagte ist als Anbieter eines vollelektronischen „Ride-Sharing“ Dienstleister im Bereich der Personenbeförderung. Der Kläger war bei der Beklagten seit Juni 2019 mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.088 € als Fahrer beschäftigt. Während der Corona-Pandemie hatte die Beklagte zeitweise ihren regulären Fahrbetrieb eingestellt. Der Kläger befand sich in Kurzarbeit Null. Ab April 2021 übernahm die Beklagte in Hamburg Nachtfahrten des öffentlichen Personennahverkehrs und gab per Pressemitteilung u.a. bekannt, dass neben anderen Infektionsschutzmaßnahmen „[…] Die Fahrer […] regelmäßig auf Corona-Infektionen getestet [werden]“. Kurz darauf beschloss die Beklagte, dass sie schon vor Erweiterung der gesetzlichen Vorgaben damit beginnen werde, die Testfrequenz auf zwei Mal in der Woche zu erhöhen.
Bei den von der Beklagten angebotenen Schnelltests handelte es sich um einen Antigen-Selbsttest, der lediglich einen Abstrich im vorderen Nasenbereich erfordert und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte anerkannt ist. Am ersten Arbeitstag des Klägers nach der Kurzarbeit, lehnte dieser es ab, vor Fahrtbeginn den bereitgestellten Corona-Schnelltest vor Ort durchzuführen. Darüber hinaus verweigerte er auch die Mitnahme von Testkits, um sich regelmäßig zu Hause selbst zu testen.
Der Kläger wurde mündlich auf die Verpflichtung zur Durchführung der Tests hingewiesen. Nachdem dieser dennoch weiterhin deren Durchführung ablehnte, wurde er für den Tag unbezahlt freigestellt. Die folgenden drei Tage erschien der Kläger am Arbeitsplatz, bot seine Arbeitskraft an und verweigerte weiterhin die Durchführung und Mitnahme der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Schnelltests. Einen alternativen Test hatte er nicht mitgebracht. Die Beklagte erteilte dem Kläger ein Hausverbot und verwies ihn vom Betriebsgelände. Sodann kündigte sie das Arbeitsverhältnis.
Der Kläger war der Ansicht, dass weder eine gesetzliche noch eine kollektivrechtliche Verpflichtung für Arbeitnehmer zur Teilnahme an Corona-Tests ohne Rücksicht auf das Vorhandensein etwaiger Symptome bestanden habe und die Anordnung der Testpflicht durch die Beklagte auch nicht von ihrem Weisungsrecht gedeckt sei. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt.
Die Kündigung ist nicht als verhaltensbedingte Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.
Zwar war die Anordnung der Beklagten gegenüber ihren Fahrern rechtmäßig, die von ihr bereitgestellten Corona-Schnelltests (auch erstmalig vor Ort auf dem Betriebsgelände der Beklagten) durchzuführen. Es wurden insoweit auch keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates übergangen, da es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Betriebsrat bei der Beklagten gab. Der Kläger hat durch die Ablehnung dieser Tests schuldhaft gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Nach Auffassung der Kammer wäre allerdings vor Ausspruch einer Kündigung der Ausspruch einer Abmahnung als milderes Mittel geeignet und ausreichend gewesen, beim Kläger künftige Vertragstreue zu bewirken. Die Beklagte, die insoweit die Beweislast trägt, war somit nicht berechtigt, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist sogleich zu kündigen.
Die Abmahnung war auch nicht entbehrlich. Zwar hat der Kläger sich wiederholt geweigert, die von der Beklagten bereitgestellten Schnelltests vor Ort auf dem Betriebsgelände der Beklagten durchzuführen. Dabei ging er selbst allerdings davon aus, dass dieses Verhalten rechtmäßig war und er gegenüber der Beklagten auf die Bereitstellung eines – aus seiner Sicht – minimal invasiveren Testverfahrens bestehen konnte. Darüber hinaus war er – insoweit unstrittig – bereit, einen anderen Schnelltest durchzuführen, um den Interessen der Beklagten nachzukommen.
Vor diesem Hintergrund kann auch und gerade unter Berücksichtigung einer (in Ermangelung höchstrichterlicher Rechtsprechung) unklaren Rechtslage zur Testpflicht von Arbeitnehmern und jedenfalls einer (im Juni 2021 noch) fehlenden gesetzlichen Verpflichtung, weder davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bewusst war, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzte, noch dass er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kannte und trotzdem die bereitgestellten Testverfahren ablehnte. Ausgehend davon hätte dem Kläger vor Ausspruch einer Kündigung durch eine Abmahnung noch einmal deutlich die Gefahr für den Bestand seines Arbeitsverhältnisses vor Augen geführt werden müssen, sollte dieser die Durchführung eines Schnelltests (gleich welcher) weiterhin verweigern.