Verfall von Urlaubsansprüchen: Konkrete Aufforderungspflicht des Arbeitgebers auch für vorangegangene Kalenderjahre

Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat. Diese Initiativlast des Arbeitgebers bezieht sich nicht nur auf das laufende Kalenderjahr, sondern auch auf den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.

LAG Köln v. 9.4.2019 - 4 Sa 242/18

Der Kläger war vom 1.9.2012 bis zum 31.3.2017 als Bote bei dem beklagten Apotheker beschäftigt. Bezüglich der Urlaubsansprüche des Klägers hatten die Parteien im Arbeitsvertrag eine Regelung getroffen, wonach der Kläger seinen Jahresurlaub auf eigenen Wunsch in Form einer wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung vornehmen konnte. Statt der bezahlten 30-Stunden-Woche arbeitete der Kläger somit nur 27,5 Stunden pro Woche. Die Gewährung darüber hinausgehenden Urlaubs hatte der Kläger während des Arbeitsverhältnisses nicht verlangt.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begehrte der Kläger gegenüber dem Beklagten einen finanziellen Ausgleich für in den Jahren 2014, 2015 und 2016 nicht gewährten Urlaub. Er war der Ansicht, die Regelung zur Arbeitszeitverkürzung stelle einen Verstoß gegen das Bundesurlaubsgesetz dar. In Form einer Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden pro Woche könne der Erholungszweck des gesetzlich zu gewährenden Urlaubs nicht erfüllt werden. Da der Beklagte ihm den Urlaub durch die Einführung eines Umgehungstatbestandes verweigert habe, schulde er ihm Schadenersatz in Form der Gewährung von Urlaubsabgeltung i.H.v. 4.536 €.

Das Arbeitsgericht wies die Klage im Hinblick auf Urlaub aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 ab. Auf die Berufung des Klägers hob das LAG die Entscheidung auf und gab der Klage weitestgehend statt.

Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung des ihm für die Jahre 2014, 2015 und 2016 zustehenden gesetzlichen Urlaubs im Umfang von 20 Tagen pro Jahr und damit auf Zahlung von insgesamt 3.600 €.

Eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden bei einer vereinbarten 30-Stunden-Woche stellt keinen Erholungsurlaub i.S.d. §§ 1 ff. BUrlG dar. Dies ergibt sich bereits aus § 3 BUrlG, der den Urlaubsanspruch in (Werk-)Tagen berechnet. Urlaub kann daher nicht stundenweise berechnet und regelmäßig auch nicht stundenweise gewährt werden. Auch die Befreiung an Teilen eines Tages (halber Tag, Vierteltag) ist zu Urlaubszwecken nicht statthaft, solange der Arbeitnehmer noch wenigstens Anspruch auf einen Tag Urlaub hat.

Auch der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG, wonach Urlaub grundsätzlich zusammenhängend zu gewähren ist, ist zu entnehmen, dass die in § 4 Nr. 1 und § 9 Nr. 2 des Arbeitsvertrags vorgesehene Arbeitszeitverkürzung den Anspruch auf den gesetzlichen Erholungsurlaub nicht ersetzen kann. Der mit § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer die Wiederherstellung und Auffrischung der Arbeitskraft zu ermöglichen, kann durch die wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden auch durch grundsätzliche Arbeitsbefreiung an Samstagen nicht erfüllt werden.

Die Urlaubsansprüche des Klägers waren auch nicht gem. § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Unter Berücksichtigung des europäischen Rechts verfällt der Urlaub eines Arbeitnehmers in der Regel nämlich nur, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlöscht (EuGH v. 6.11.2018 - C-684/16). Dem Arbeitgeber obliegt die Initiativlast, im laufenden Kalenderjahr den Arbeitnehmer konkret aufzufordern, den Urlaub zu nehmen. Diese Obliegenheit des Arbeitgebers bezieht sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren..